Küchenkampfdolch

Im Laufe meines Kampfsportlerlebens (also schon länger, als mir lieb ist) hat sich bei mir alles Mögliche an Schrott angesammelt. Ein chinesischer Säbel („Dao“) hier, ein Samurai-Schwert ohne Handschutz („Shirasaya Katana“) da, eine Wurfaxt dort. Dann sind da noch diverse Stöcke unterschiedlicher Länge und Dicke, Trainingsstöcke aus Schaumstoff und Plastik. Nicht unterschlagen will ich auch Taschenmesser, Fahrtenmesser, Übungsmesser aus Plastik und Holz. Die Liste ist nicht einmal in der Nähe von vollständig.

Schwerter, Stöcke und anderes langes Zeug stehen in einer Edelstahltrommel, die eigentlich für Schmutzwäsche gedacht ist. Die Messer liegen in der unteren Schublade einer Kommode. Und nein! Meine Schmutzwäsche liegt nicht in einem Waffenschrank. Und meine Socken tun das auch nicht!

Und was fange ich mit all dem Kram an?

Gute Frage. Oder, wie ein Politiker sagen würde, ich bin froh, dass man mir diese Frage stellt.

Die Stöcke und Trainingswaffen aus Holz kann ich zum Training benutzen, entweder mit einem Trainingspartner im Dojo oder auf dem Sportplatz im Freien. Die meisten Taschenmesser sind „street legal“, d.h. sie dürfen legal in der Öffentlichkeit getragen werden. Aber wer braucht schon ein Taschenmesser in jeder Tasche?

Meine Schwerter rosten vor sich hin und warten auf den Tag, an dem die Toten sich aus den Gräbern erheben, um die Lebenden zu fressen. Ich sehe nicht, dass ich außerhalb einer Zombie-Apokalypse noch viel mit ihnen machen werden. Gartenarbeit mit einem Schwert erscheint mir dann doch zu albern. Die Reaktion der Nachbarn könnte allerdings Unterhaltungswert haben.

Stephen King könnte eine Geschichte über meine Bude schreiben: der Friedhof der Hieb- und Stichwaffen. Ich wäre dann ein unheimlicher, etwas schräger Charakter, der Menschen kryptische Fragen stellt, bevor sie ihre Waffen bei mir begraben und beim nächsten Neumond wieder abholen. Die Waffen sind dann irgendwie lebendig. Auf eine unheimliche Art. Mit einem eigenen Willen. Immer auf Blut aus. Menschliches Blut.

He he he he he he.

Ich befürchte, Stephen King braucht mich nicht, um auf Ideen für seine Bücher zu kommen.

Und dann habe ich da noch einen Fairbairn-Applegate Kampfdolch. 15 cm Klingenlänge. Ergonomischer Griff. Ein exzellentes Tötungswerkzeug. Einer der Schöpfer ist ein legendärer Nahkampf-Instruktor (um nicht zu sagen, Erfinder) der „combatives“ des 2. Weltkrieges.

Warum in aller Welt befindet sich solch ein Teil in meinem Besitz? Und was fange ich heutzutage damit an?

Zuerst eine kleine Anmerkung für alle Freudianer: Manchmal ist ein Dolch einfach nur ein Dolch.

Ich habe den Dolch vor Urzeiten gekauft, als man derartiges noch in der Öffentlichkeit tragen durfte (von Ausnahmen wie öffentlichen Veranstaltungen abgesehen). Ich war jung und hatte das Geld und fühlte das Bedürfnis nach etwas „Einzelhandelstherapie“. Das passiert beileibe nicht nur Frauen.

Bei einer anderen Gelegenheit zum Beispiel blickte ich zu Beginn des Tages auf mein Telefon, mit dem ich eigentlich geschäftliche Telefonate hatte führen wollen. Ich blickte, wie gesagt, das Telefon an. Das Telefon blickte mich an. Ich entschied, an diesem Tag nicht zu arbeiten und kaufte mir stattdessen ein Schwert. Ich habe damit in Jahren nicht trainiert. Trotzdem war es die richtige Entscheidung.

Anders als dieses Schwert hat der erwähnte Dolch in der Tat ein zweites Leben erhalten. Und dies ganz ohne Beschwörungsformel oder Blutopfer à la Stephen King.

Es begann mit Fisch. Und das ist sehr symbolträchtig. Der Fisch war das Symbol der frühen Christen. Ein geheimes Erkennungszeichen zu der Zeit, als sie noch verfolgt wurden, weil sie nicht der Staatsreligion anhingen, und vor der Zeit, als sie ihrerseits Heiden verfolgten, weil diese nicht der neuen, christlichen Staatsreligion anhingen.

Der Fisch war also das Symbol von Menschen, die an die Wiederauferstehung glaub(t)en. An ein zweites Leben. Und Fisch führte zu einem zweiten Leben für meinen Dolch, davor begraben und vergessen in meiner Kommode. Genauer gesagt: Es war Fischfilet. Geforenes Fischfilet.

Habt ihr schon mal versucht, tief gefrorene Fischfilets voneinander zu trennen? Mit einem üblichen Küchenmesser? Die Klinge ist viel zu dünn, um etwas auszurichten. Sie verbiegt sich höchstens dauerhaft oder bricht sogar. Als ich wieder einmal vor diesem Problem stand, fiel mir mein Dolch ein. Die Klinge ist mehrere Millimeter dick und ist der Herausforderung von Fischfilet-Eisblöcken problemlos gewachsen. Ich kann die einzenen Filets mit nur mäßiger Kraftanstrengung und etwas Gepfriemel voneinander trennen.

Das Leben meines Dolches hat wieder einen Sinn.

Für die Schwerter habe ich immer noch keine Verwendung gefunden. Aber wer weiß, was der nächste Virus bringt?

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Pardauz!